Auf fremdem Terrain

Wie können Eltern ihren Kindern ein Vorbild sein, wenn der Nachwuchs von der Sache mehr versteht als sie selbst? Lambert Zumbrägel erlebt diesen Zwiespalt an einem typischen Beispiel: dem Umgang mit Medien.

Bibi Blocksberg: Euer bester Freund?

Als ich elf Jahre alt war wie meine Tochter heute, hatte ich kein Handy, keinen Computer und keine 300 Fern­sehprogramme zur Auswahl. Und die Rolle, die für mich Pippi Langstrumpf spielte, übernahmen für Hanna Bibi Blocksberg und Benjamin Blümchen. Mit dem kleinen Unterschied, dass ich Pippi Langstrumpf „nur“ aus dem Buch kannte; Hanna dagegen begegnete Bibi und Benja­min im Hörspiel, im Buch, im Comic, im Zeichentrick­film, im Internet, im Kinofilm und selbstverständlich im Computerspiel, konnte also viel tiefer in die Welt ihrer Helden eintauchen als ich.
Wie nah diese Fantasiewesen einer Heilsversprechung kommen, merkte ich, als ich beim bestimmt hundertsten Hören des Bibi-Blocksberg-Titelsongs zum ersten Mal bewusst den Text wahrnahm:

„Bibi Blocksberg, die kleine Hexe, kann so manches, wovon ihr träumt. Und sie wird euch immer helfen, denn sie ist euer bester Freund.“

Euer bester Freund? Läuft da etwas schief? Warum zieht Hanna den Computer unserem Garten und ihren Freundinnen als Spielort oder -partner vor? Schadet es ihr, wenn sie die Welt des Harry Potter (er hat Bibi und Benjamin inzwischen als virtueller Freund ab-gelöst) besser kennt als die der Bibel? Muss ich als „Personensorgeberechtigter“ und damit auch -ver­pflichteter nicht etwas unternehmen, wenn Hanna im Computerspiel „Sims“ gerade mögliche Todesarten für die von ihr kreierten „Menschen“ durchprobiert? Ist das nicht eigenartig, bedenklich? Oder konstruiert meine Tochter in dem Spiel „nur“ ihre Welten, genau- so wie ihre Mutter und Hanna selbst es früher im Pup­penhaus gemacht haben? Gehört der Tod dann nicht dazu?

Von der Tochter überholt

Eltern sollen Vorbild sein. Doch wenn’s um den Umgang mit Medien geht, funktioniert das nicht. Meine eigene mediale Umwelt war und ist eine völlig andere als die meiner Tochter. Ich kann nicht – wie beim Umgang mit Freund(inn)en, Lehrer(inn)en und anderen Themen – aus persönlichen Erfahrungen schöpfen; manchmal fällt es mir deshalb schwer, Hanna zu verstehen. Es führt kein Weg daran vorbei: Auf dem Erfahrungsfeld „Medien“ hat meine Tochter mich einfach überholt.

Mir bleibt nur eine Möglichkeit: Ich versuche die schöne neue Medienwelt gemeinsam mit Hanna zu entdecken. Zwar fehlt mir oft die Zeit, mich mit allem zu beschäfti­gen, was sie da treibt. Aber ich gebe mir Mühe, die Spaß­faktoren, Grenzen und Gefahren von Handy, Computer und Internet mit ihr zusammen kennenzulernen und den Umgang damit zu entwickeln. Auf fertige Antwor­ten können wir dabei kaum zurückgreifen; Politik und Fachleute streiten um den besten Jugendschutz, viele Wertediskussionen fangen gerade erst an. Da stehen wir zwei ein bisschen alleine da. Also lasse ich Hanna vieles ausprobieren und schaue dann, wie sie es bewertet. So lernen wir beide Schritt für Schritt dazu.

Zum Beispiel streifen wir gemeinsam durchs Web oder begutachten Demo-CDs auf der Suche nach guten Spie­len. Aber was ist ein gutes Spiel? In Hannas Augen zählen da manchmal ganz andere Qualitäten als bei mir. Geht es mir um Inhalte, begeistert sie sich manchmal für die interaktiven Landschaften.
Oder ich werde hellhörig bei der Frage: „Wie ist noch mal meine E-Mail-Adresse Papa?“ Hanna muss sich da irgendwo anmelden, um eine Website weiter nutzen zu können. Dann folgen oft Diskussionen um AGBs, die wir gemeinsam lesen, oder um den Umgang mit möglichem Missbrauch von persönlichen Daten.

Im Gespräch bleiben

Ab und an schaue ich mal zusammen mit Hanna ihre Lieblingssendungen im Fernsehen an. Dann reden wir darüber, was ihr an den TV-Helden gefällt und was nicht, was man sich von ihnen abschauen kann und was besser nicht. Oder über die Motivation von Menschen: Warum lassen sich so viele Leute von Casting-Shows auf die Bühne locken? Am Beispiel Harry Potter haben wir viel über Gut und Böse geredet. Dabei lasse ich ihre Meinung gelten, auch wenn sie von meiner eigenen ab­weicht. Die ich allerdings nicht verschweige; manchmal kommt es dann zu sehr persönlichen Diskussionen, weil Hanna auch mein eigenes Verhalten an den Ansprüchen misst, die ich dabei äußere. Was finde ich selbst so toll daran, mich als Hobby-Kabarettist zu betätigen?

Und wir versuchen gemeinsam, in der wirklichen Welt ein Gegengewicht zu der virtuellen zu finden: Abenteuer beim Geocachen zu erleben, Kontakte zu Freunden und anderen Menschen zu pflegen, die auch als Vorbilder dienen könnten.

Reflexionsräume schaffen

Einen eindeutigen Nachholbedarf habe ich im Umgang mit Social Communitys. Die Faszination von Facebook & Co. wird Hanna mir eher erklären können als ich mir selbst. Zwar bin ich auch in Facebook aktiv, nutze es aber ausschließlich für berufliche Belange. Für meine Tochter ist es dagegen schon selbstverständlich, dass sich ihre Freunde „vernetzen“, Beziehungen via Computer pflegen. Wie spinnt und flickt man dieses Netz, wie wer­den Konflikte ausgetragen – da will ich mit Hanna im Gespräch bleiben.
Meine Aufgabe als Vater sehe ich darin, meiner Tochter (und mir selbst) Reflexionsräume zu schaffen. Dass wir uns dabei gegenseitig immer besser kennenlernen, ist ein schöner Zusatznutzen. Und ich merke dabei immer wieder, dass ich Hanna zutrauen kann, sich in der Flut der Medien-Angebote zu behaupten.

Was lebe ich selbst eigentlich vor?

Schon als Sechsjährige erklärte sie mir auf meinen eifer­süchtigen Einwand, dass ich doch ihr bester Freund sein wollte (statt Bibi Blocksberg und Benjamin Blümchen): „Nein, du bist doch mein Papa! Du bist für die echte Welt da!“ Soso, dachte ich damals, ich muss mir also kei­ne Sorgen machen. Mein Kind weiß zu unterscheiden!
Und als meine Frau und ich schon zweifelten, ob wir mit unserer Medien-Strategie richtig lägen, belehrte sie uns eines Bessren: Sie hatte mit ihren Freundinnen an einem Samstag acht Stunden am Stück am Computer gesessen und war danach ziemlich fertig. Aber das exzessive Spie­len hat ihr nicht geschadet, im Gegenteil. Die restlichen zwei Stunden des Zeitguthabens am Computer, das wir ihr pro Woche eingeräumt hatten, brauchte sie nicht mehr. Sie hat die Vor- und Nachteile von Computer-Or­gien kennengelernt und geht heute bewusster damit um.

Manchmal hinterfrage ich mich eher selbst, inwiefern ich ihr ein gutes Vorbild bin. Mache ich denn auch mal Pause? Ja schon; allerdings hänge ich oft schnell am Smartphone, wenn eine Frage im Raum steht. Mal eben googeln, die Mails checken, sofort ans Telefon gehen, wenn es klingelt. Mein PC steckt in der Tasche und ist oft präsent; die Mo­bilität hat meine Verweildauer vor dem PC verkürzt, da­für habe ich oft das Handy in der Hand, auch wenn andere dabei sind. Was genau lebe ich da eigentlich vor?

Lambert Zumbrägel